27. April 1966
(Über den "Sannyasin") Wir haben Zeit für Savitri... es sei denn, du hättest eine Frage.
Weil es zwei im Widerstreit liegende Ideen gibt. Deshalb besteht ein Zögern zwischen den beiden Standpunkten. Zwei Standpunkte: die Notwendigkeit des Verzichts und die Nutzlosigkeit der Flucht. Diese beiden Ideen verursachen das Zögern. Aber in der chronologischen Reihenfolge der Dinge müsste die Notwendigkeit des Verzichts an erster Stelle kommen, und dann die Entdeckung, dass Flucht nutzlos ist, und anstelle des Fliehens muss eine freiwillige Rückkehr stehen, ohne Bindungen. Eine Rückkehr zu einem Leben ohne Bindungen. Ansonsten sehe ich das so: Um ein Buch zu schreiben, darf man im allgemeinen nicht mehr als eine Etappe behandeln, denn es gibt einen Anfang, eine Entwicklung und einen Höhepunkt, an dem sich etwas erfüllt. Dann kommt ein anderes Buch, das von dieser Verwirklichung und der ganzen Erfahrung ihrer Nutzlosigkeit ausgeht. Dann schließlich kommt die Krönung: die Rückkehr zu einem Leben in Freiheit. Man kann alle drei zusammenlegen, aber das ergibt ein sehr kompaktes Buch.
Wie hast du angefangen?
Wohin fährt das Schiff?
Und wo trifft er diesen Sannyasin? Vor seiner Abreise oder danach?
(Mutter lacht)
Das hat dich zurückgeworfen.
Das also erzählst du?
Aber das ist doch gut!
Wenn du eine solche Haltung einnimmst, kannst du kein Buch schreiben! Gerade in den letzten Tagen kamen mir wieder Dinge in den Sinn, die ich einst geschrieben hatte - die ich mir in einem bestimmten Moment vorgestellt und niedergeschrieben hatte... zu Beginn des Jahrhunderts (vor deiner Geburt!) in Paris. Ich sagte mir: "Merkwürdig, warum denke ich an so etwas?" In meinem Text fand sich der Satz: "Die Liebe zur Schönheit hat sie gerettet." Es war die Geschichte einer Frau mit einem großen vermeintlichen Liebeskummer, wie ihn die Menschen erleben; sie verspürte aber ein Bedürfnis, die Liebe zu manifestieren, eine Liebe von einer wunderbaren Schönheit. Mit dieser Kraft und diesem Ideal überwand sie ihren persönlichen Kummer. Ein solches Büchlein hatte ich also geschrieben (ich weiß nicht, wo es geblieben ist, aber das ist auch unwichtig). Plötzlich kam mir das wieder in den Sinn, und ich fragte mich: "Halt! Warum sollte ich mich daran erinnern?" Daraufhin fiel mir die ganze Entwicklung des Bewusstseins wieder ein. Mir war damals schon deutlich bewusst, dass persönliche Angelegenheiten überwunden werden müssen durch den Willen, etwas Wesentlicheres und Universelleres zu realisieren. Ich folgte der Kurve meines eigenen Bewusstseins, wie es angefangen hatte, und von dort aus gelangte ich zu... anderen Dingen. Damals war ich achtzehn Jahre alt. Es war mein erster Versuch, von einem ausschließlich persönlichen Blickwinkel zu einem umfassenderen Blickwinkel zu gelangen und aufzuzeigen, dass dieser umfassendere, universellere Standpunkt einen das Persönliche überwinden lässt. Trotzdem fragte ich mich: "Warum fällt mir das alles wieder ein?" Jetzt verstehe ich. Weil es dir mit deinem Text genauso ergeht. Es ist genau dasselbe. Natürlich könnte ich heute nicht mehr schreiben, was ich damals schrieb - es würde mich nur zum Lachen bringen.
Dann schreib es!
Ja, es ist hohl.
(Mutter lacht)
Dort anfangen, wo du heute stehst?
Vielleicht würdest du damit Zeit sparen. Du kannst das ja ausprobieren: aufschreiben, was du jetzt schreiben würdest - und dann wirst du sehen.
Vielleicht kommt das jetzt! Von einem persönlichen Standpunkt aus würdest du viel Zeit gewinnen, wenn du dort anfangen würdest, wo du heute stehst. Du wirst ja sehen... Du könntest mit dem Ende beginnen, und dann sehen, ob es einen Anfang braucht, oder ob sich anstelle eines Anfangs eine Fortsetzung aufdrängt. Das wäre interessant. Mit einem Faustschlag beginnen: bum! Was du jetzt siehst und empfindest. Ordne das Ganze deinem Leitfaden entsprechend an und beginne damit! Wenn das einmal geschrieben ist, siehst du, ob es durch das, was vorausgeht, unterstützt werden muss, oder ob du mit dem, was folgt, weitermachen kannst. Ein interessantes Experiment.
***
(Dann liest Mutter zwei Verse aus Savitris Dialog mit dem Tod) Ach, immer noch dieser Kerl... Ich hatte in den letzten Tagen genau dieselbe Erfahrung, das ist sehr lustig.
Wieso? Warst du in der formlosen Leere? Ich habe all dies gesehen, das war so amüsant! Ach, eine außerordentliche Erfahrung! Plötzlich war ich außerhalb... man kann nicht sagen "darüber" (obwohl es "darüber" war), aber doch außerhalb aller menschlichen Schöpfung, außerhalb all dessen, was der Mensch in allen Welten geschaffen hat, selbst in den ätherischsten. Von dort aus betrachtet war es... Ich sah dieses Spiel aller nur möglichen Vorstellungen, die sich die Menschen von Gott und der Art und Weise, sich ihm zu nähern, je gemacht haben (das, was sie "Gott" nennen), dann die unsichtbaren Welten und die Götter, all das kam eins nach dem anderen, wie es in Savitri beschrieben ist (Geste wie auf einer Leinwand), eins nach dem anderen zog vorüber... mit seiner Künstlichkeit und seinem Unvermögen, die Wahrheit auszudrücken. Mit einer solchen Genauigkeit! Eine geradezu beängstigende Genauigkeit, denn man hatte den Eindruck, nichts zu sein außer in einer Welt der Vorstellung, der eingebildeten Schöpfung, aber nichts, was wirklich wäre; man hatte nicht das Gefühl, die Sache zu... zu berühren. Es wurde so extrem, dass es... ja, eine schreckliche Beklemmung wurde: "Aber was dann? Was, was? Was ist wirklich WAHR außerhalb all dessen, was wir wahrnehmen können?" Dann kam es. Es war so (Geste der Hingabe): die totale, völlige Aufhebung des Selbst, dessen, was wissen kann, was versucht zu wissen - selbst surrender ist kein ausreichendes Wort dafür: eine Art Auflösung. Und auf einmal endete es mit einer kleinen Regung, wie sie ein Kind haben könnte, das nichts weiß, nichts sucht, nichts versteht, nicht zu verstehen versucht - das sich einfach hingibt. Eine kleine Regung von einer solchen Schlichtheit, einer Reinheit, Aufrichtigkeit und Offenherzigkeit, einer unermesslichen Lieblichkeit - Worte können es nicht wiedergeben - nichts, nur das (Geste der Überantwortung), und unmittelbar darauf DIE GEWISSHEIT (nicht ausgedrückt - gelebt), die gelebte Gewissheit. Ich konnte es nicht lange halten. Aber "es" ist wunderbar. Die Beklemmung hatte ihren Höhepunkt erreicht. Das Gefühl der Nutzlosigkeit aller menschlichen Anstrengungen, zu verstehen - zu erfassen und zu verstehen, was nicht menschlich ist, was jenseits liegt. Ich spreche von der Menschheit in ihren höchsten Verwirklichungen, verstehst du, wenn der Mensch sich als Gott fühlt... Das lag immer noch darunter. Die Erfahrung dauerte, ach, ich weiß nicht, vielleicht ein paar Minuten, aber es war... das war etwas. Allerdings mit einer solchen Gewissheit... sobald man da wieder herauskommt, selbst wenn man versucht, es in Worte zu fassen (oder auch ohne etwas sagen zu wollen) - sobald man versucht, es in welcher Weise auch immer zu formulieren: vorbei. Und trotzdem bleibt hartnäckig eine Gewissheit zurück, dass die Schöpfung NICHT nur ein vorübergehendes Mittel ist, um das wahre Bewusstsein wiederzufinden: sie ist etwas, das seine eigene Realität hat und seine eigene Existenz IN DER WAHRHEIT haben wird. Das ist der nächste Schritt. Aus diesem Grunde ist diese Verwirklichung (die Leere) nicht das Ziel - dies ist der springende Punkt. Eine Überzeugung, dass dies nicht das Ziel ist. Eine absolute Notwendigkeit, ja, aber nicht Ziel und Zweck. Das Ziel ist... die Fähigkeit, Das hier aufrechtzuerhalten. Wann das kommen wird, weiß ich nicht. Aber es wird alles verändern. Bis dahin bereitet man sich vor. Eines musste ich allerdings feststellen - es war nicht zu verkennen -, und zwar eine Macht der Einflussnahme auf die Umwelt, die alles Bisherige unendlich übertrifft. Das wirbelt überall alles auf, selbst bei den etabliertesten Menschen, die recht zufrieden waren mit ihrem Leben, so zufrieden, wie man es eben sein kann - selbst diese werden berührt. Wir werden sehen. Endlich kommt es in Bewegung. (Zum "Sannyasin" zurückkehrend:) Probiere mein Mittel aus, dies sollte klappen!
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ISBN 3-920083-07-2
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